Deflektometrie zur Inspektion (teil-) spiegelnder Oberflächen

Deflektometrie zur Inspektion (teil-)spiegelnder Oberflächen
© Fraunhofer IOSB
Deflektometrie zur Inspektion (teil-)spiegelnder Oberflächen
Deflektometrischer Sensorkopf bei der Inspektion einer Fahrzeugtür
© Fraunhofer IOSB, Fotograf Manfred Zentsch
Bild 1: Deflektometrischer Sensorkopf bei der Inspektion einer Fahrzeugtür

Mit Deflektometrie werden allgemein alle Verfahren zur Gewinnung von Gestaltinformationen über spiegelnde Oberflächen durch automatische Auswertung von Spiegelbildern bekannter Szenen bezeichnet. Aus den Verformungen der Spiegelbilder können dann Rückschlüsse auf die Gestalt der Oberfläche gezogen werden. Dabei ist sowohl die Detektion von lokalen Defekten
(z. B. Pickeln oder Dellen), die Ebenheitsprüfung von Oberflächen, als auch die geometrische Vermessung und 3D-Modellgenerierung großer und komplex geformter Objekte möglich. Mit dem weiterentwickelten System des Fraunhofer IOSB sind nun sowohl die Defektdetektion als auch die geometrische Rekonstruktion innerhalb ca. 1 Sekunde möglich. Dazu müssen inzwischen auch nicht mehr schwierige Konturen oder Ränder eingelernt werden; dies erfolgt in der Auswertemethodik automatisch.

 

Sollen spiegelnde Bauteile, z.B. Solarkollektoren oder Spiegel für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche inspiziert werden, ist die Geometrie des Spiegels offensichtlich die interessierende Eigenschaft. Auch bei Oberflächen, die, wie z.B. Karosserieteile, ästhetischen Anforderungen genügen müssen, spielt die spiegelnde (d.h. gerichtete) Reflexion oft die entscheidende Rolle. Der Mensch erkennt auf solchen Oberflächen bereits kleinste Topographieveränderungen als Defekte, so dass deren Bewertung große Bedeutung besitzt und entsprechend aufwendig ist.

 

Die Inspektion spiegelnder Oberflächen ist in der Praxis jedoch besonders anspruchsvoll: Zunächst sind die meisten gängigen Inspektionsverfahren − z.B. Streifenprojektion, Verfahren des photometrischen Stereos oder Photogrammetrie − auf diffuse Reflexion angewiesen. Sofern solche Verfahren überhaupt verwertbare Messdaten liefern – dafür ist eine teilspiegelnde Reflexion erforderlich oder eine Vorbehandlung der Prüfoberfläche –, können die Ergebnisse, meist die Topographie der Oberfläche oder deren Ableitung, nicht ohne weitere Verarbeitung zur Bewertung spiegelnder Oberflächen verwendet werden. Schließlich sind Messverfahren aus der Mikroskopie, die prinzipiell die erforderlichen Höhenauflösungen aufweisen (z.B. Weißlichtinterferometrie, konfokale Mikroskopie), aufgrund der geringen Messfeldgröße in der Praxis meist nicht einsetzbar.
Deflektometrische Verfahren schließen diese Lücke in der Mess- und Prüftechnik.

 

 

 

Sensorik

Am Fraunhofer IOSB sind in den letzten Jahren Verfahren und Algorithmen erarbeitet worden, um die Deflektometrie zur industriellen Bewertung von (teil-)spiegelnden Oberflächen einzusetzen. Dabei wurden mehrere Ansätze für den industriellen Einsatz erprobt. Wird ein Bildschirm mit einer Kamera kombiniert, entsteht ein deflektometrischer Sensorkopf, mit dem Oberflächen etwa bis zur Größe eines DIN A4-Blatts inspiziert werden können (Bild 1). Für die Inspektion größerer Objekte kann der kompakte Sensorkopf z. B. von einem Industrieroboter positioniert werden, wobei große Prüfoberflächen in mehrere Einzelaufnahmen parkettiert werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, in einer Art „Deflektometrie-CAVE“ möglichst die gesamte Umgebung der zu prüfenden Oberfläche mit Mustern zu versehen, so dass die Kamera in der gesamten Oberfläche Reflexionen der Muster sieht. Dadurch lassen sich auch großflächige und zerklüftete Prüfobjekte mit wenigen Aufnahmen inspizieren.

Auswertung

Verschiedene Auswertemethoden der Deflektometrie
© Fraunhofer IOSB
Bild 2: Verschiedene Auswertemethoden der Deflektometrie

Deflektometrische Messdaten können auf unterschiedliche Weise ausgewertet werden. Als Beispiele zeigen die Teilbilder in Bild 2 vier Verfahren zur Auswertung deflektometrischer Messdaten.

Direkt aus den aufgenommenen Bildern lassen sich krümmungsäquivalente Merkmale von räumlichen Defekten bestimmen (Teilbild 2.A). Diese Art der Auswertung korrespondiert gut mit dem visuellen Eindruck, den ein Mensch von einer spiegelnden Oberfläche gewinnt. Unschwer erkennt man das sehr gute Signal-zu-Rausch-Verhältnis dieser Merkmalsbilder (hier dargestellt als Höhenbild). Diese Methodik eignet sich insbesondere zur schnellen und zuverlässigen Inspektion lackierter Bleche.

Sind in einem weiteren Schritt mittels einer Kalibrierung die Systemparameter sowie bestimmte Zusatzinformationen bekannt, so gelingt eine vollständige Rekonstruktion der spiegelnden Oberfläche. Daraus eröffnen sich mehrere Anwendungsmöglichkeiten: die Vermessung lokaler topographischer Defekte auch auf großen Oberflächen (Teilbild 2.B), die 3D-Modellgenerierung großer und komplex geformter Objekte (Teilbild 2.C) und die Analyse topographischer Strukturen z. B. mittels Verfahren der Texturanalyse.

Die Rekonstruktion ist die Voraussetzung für die Vermessung spiegelnder Oberflächen mittels Deflektometrie. Dabei zeigt sich, dass eine Höhenauflösung im Bereich weniger Mikrometer problemlos erreichbar ist. Das Teilbild 2.B zeigt als Beispiel denselben Bildausschnitt wie Teilbild 2.A. Im Gegensatz zu Teilbild 2.A entspricht das Rekonstruktionsergebnis hier der Oberflächentopographie, es handelt sich also um eine deflektometrische Messung. Das Modell in Teilbild 2.C zeigt die deflektometrische Rekonstruktion einer vollständigen Motorhaube aus ca. 50 deflektometrischen Aufnahmen. Das rekonstruierte Modell ist ein Flächenmodell mit ca. 3 Mio. Dreiecken.

Deflektometrische Rekonstruktionen lassen sich mit vorhandenen CAD-Modellen vergleichen. Teilbild 2.D zeigt die Abweichungen einer deflektometrischen Oberflächenvermessung vom CAD-Modell des Bauteils. Die dargestellten „Höhenlinien“ zeigen Abweichungen im Bereich weniger Mikrometer.